Bericht

Zufriedenheit ist keine Glücksache

Matthias Ackermann

Georges Morand über die Kunst, mit Irritationen im Leben umzugehen.
Georges Morands Referat am Tag der Absolventinnen und Absolventen bewirkte Betroffenheit, Ermutigung und – zufriedene Gesichter. Seine Kernaussage: Zufriedenheit hängt nicht von Lebensumständen ab.

Ein Junge verliert mit 13 Jahren sein Augenlicht. Mit 16 Jahren hat er eine Blindenschrift fertig konzipiert. Sie wird Tausenden von blinden Menschen Zugang zu Literatur und Informationen verschaffen. Ob Louis Braille – so hiess der Junge – nun ein Glückspilz oder ein Pechvogel sei, fragt Georges Morand. Je nach Gesichtspunkt falle die Antwort natürlich unterschiedlich aus. Und doch: «Die Geschichte von Braille zeigt, dass auch aus Schicksalsschlägen Gutes entstehen kann. Entscheidend ist die Frage: Was mache ich daraus?»

Das sei auch empirisch erwiesen. Eine Umfrage mit 5000 Befragungen kam zu diesen zwei Hauptentdeckungen:

  1. Glückliche Menschen haben eine bewusste Entscheidung gegen das Unglücklichsein getroffen.

  2. Glück kommt von innen und ist unabhängig von äusseren Umständen.

Etwas ausführlicher skizzierte Morand diese vier zufriedenheitsbestimmenden Faktoren:

  1. Einstellung
    Hier spielen sog. Glaubenssätze (z. B. «ich genüge nicht …») eine wesentliche Rolle.

  2. Betrachtungsweise
    Die Fähigkeit, das Positive zu sehen, auch im Schwierigen

  3. Verantwortung
    Übernehme ich die Verantwortung über mein Leben, oder gebe ich sie ab an Umstände und andere Menschen? Ein Beispiel für Letzteres sind Menschen, die sich (nur) als Opfer sehen.

  4. Umgang
    «Glückspilze verfügen über die Fähigkeit, Pech in Glück zu verwandeln.» (Richard Wiseman, Psychologe und Glücksforscher)

Im Anschluss beschrieb Georges Morand sieben Zufriedenheitsverstärker und ermutigte die Anwesenden, diese zu aktivieren (siehe weiter unten). Georges Morand gab solche Glücklichsein-Anregungen nicht leichtfertig ab: «Irritationen sollen ernst genommen werden. Sie sind da. Sie sind das Leben.» Beispiele würden wir alle kennen, aus dem eigenen Leben oder aus unserem Umfeld: Eine Krebsdiagnose, ein selbstverschuldeter Tod eines Kindes – furchtbar und tragisch! «Und doch beobachte ich, wie es gelingen kann, aus einer Krise mit einem stärkeren (Glaubens-)Fundament hervorzugehen.» Aber auch andersherum geschähe es: Geprüfte Menschen verlieren den Glauben an Gott. Beides könne geschehen. Der Referent fragte, wie Eltern ihren Kindern die Fähigkeit mitgeben können, «wetterfest» zu werden: «Nicht alles abfedern; die Kinder Schritt für Schritt der Wirklichkeit aussetzen – nicht die Wirklichkeit ihnen anpassen», so sein Appell. «Und Beispiel nehmen bei Gott: Gott liebt uns reif.» Auch Gott behandle mich nicht ein Leben lang wie ein Baby. Er mute mir das Leben, die Wirklichkeit zu. «Aber er bietet mir auch etwas an: Seine Gnade! Laut 2. Korinther 12,9 ist Gottes Stärke in der Schwachheit sichtbar. Nicht: Nach der Schwachheit kommt wieder das Leben in Stärke zurück.»

«Gottes Stärke ist in der Schwachheit sichtbar. Nicht: nach der Schwachheit kommt wieder das Leben in Stärke zurück.»
Georges Morand

Dieses Paradox – Stärke in der Schwachheit – hätten die Jünger oft nicht verstanden. Morand zitierte Dialoge, in denen Jesus sein Leiden erwähnt. «Die Jünger sind mit den Gedanken ganz woanders. Sie diskutieren darüber, wer von ihnen der Grösste sei. Sie bitten Jesus, in der Ewigkeit neben Jesus auf dem Thron zu sitzen.» Darauf Jesus:

«Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet. Könnt ihr den bitteren Kelch trinken, den ich trinken werde, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werden muss?» – «Das können wir!»

Die Jünger hatten sich überschätzt: «Bei der Verhaftung von Jesus rannten sie davon … Die Jünger hatten kein Gehör für Leiden, Hingabe und Schwachheit. Störungen waren nicht auf ihrem Plan: ‘Vermassle uns bitte nicht die Vision, unsere Hoffnungen und unsere Zufriedenheit, Jesus!’»

Zum Schluss skizzierte Morand fünf Reisetypen in die zweite Lebenshälfte. Sie fallen unterschiedlich aus, je nachdem, wie Irritationen in der Lebensmitte verarbeitet wurden:

  1. Reise zum Riesenbaby: Dieser Mensch lebt das Kindheitsmuster einfach weiter. Er/sie hat immer noch das Gefühl, dass sich die Welt nach seinen Wünschen richten muss.

  2. Reise in die Oberflächlichkeit

  3. Reise in die Abstumpfung und Resignation: Dieser Typ hat keine Perle gefunden in der Irritation.

  4. Reise in die Verbitterung

  5. Reise zur Weisheit, zur Reife: Dieser Mensch kann sich jede Irritation als Verwandlungsprozess zunutze machen.

Georges Morand weckte Begeisterung für einen Glauben, der sich mit dem «Ich-bin-da-Gott» der Wirklichkeit stellt. Gott agiere in der Krise nicht wie ein Regelwerk oder eine Drogenabgabe. «Aber ist bei mir – und das verwandelt mich zu einem reiferen Menschen. Meinen Boden hat er jedenfalls breiter gemacht.»

Anregungen zum Glücklichsein

Zum Bedenken:

  1. Sammle Eigenschaften von
    (un)glücklichen Personen.

  2. Bin ich eher ein zufriedener oder ein unzufriedener Mensch? Was denke ich selbst, und was würden meine Freunde, Freundinnen, mein Umfeld sagen?

Zum Aktivieren: Sieben Zufriedenheitsverstärker

  1. Pflege deine Zufriedenheit und erwarte sie nicht von anderen! (Übernimm die Verantwortung!)

  2. Sorge für einen gesunden Ausgleich zwischen Spannung und Entspannung! (Selbstfürsorge, Pausen, dein Mass finden)

  3. Lebe dein Talent, deine Leidenschaft, deine Berufung!

  4. Halte deine Leidenschaft durch Gelassenheit gesund!

  5. Speichere bewusst Gutes! (Notiere täglich fünf Dinge, wofür du dankbar bist, und schaue, was passiert!)

  6. Suche einen gesunden Umgang mit der Schattenseite! (Aus Mist Dünger machen)

  7. Sei für andere da! (Wer andern eine Blume sät, blüht selbst auf.)

--

Georges Morand, Coach, Theologe, Speaker, unterstützt seit über 30 Jahren Menschen in unterschiedlichsten Branchen, Positionen und Lebensphasen (www.morandcoaching.ch). Er ist Autor von «Mach Dünger aus deinem Mist. Wie sie erfolgreich scheitern und Tiefschläge überwinden.» Der Vater von vier erwachsenen Kindern wohnt in Gossau ZH.