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Was es uns kostet, Theologie zu lehren und zu lernen

Thomas Härry

Thomas Härry teilt seine Begeisterung über eine Lektüre des Theologen Adam Neder.

Es war eine Zufallsentdeckung: Vor rund drei Jahren bin ich auf das Buch eines mir damals noch unbekannten Theologen namens Adam Neder gestossen. Neder ist Theologieprofessor und Dekan an der Belmont-Universität in den USA. Sein Buch trägt den Titel «Theology as a Way of Life: On Teaching and Learning the Christian Faith» (Theologie als Lebensform: Über das Lehren und Lernen des christlichen Glaubens). Die Lektüre dieses Buches hat mich angesprochen und überzeugt. Wir haben es deshalb allen TDS-Dozierenden im Fachbereich Theologie geschenkt und zur Lektüre empfohlen. Inzwischen habe ich Neders Buch mehrmals gelesen. Es hat meinen Blick auf die Vermittlung theologischer Inhalte geschärft und dazu geführt, dass ich in meinem Unterricht ein paar Änderungen vorgenommen habe. Neders Anliegen deckt sich mit dem, was uns am TDS am Herzen liegt: Eine solide Theologie gehört einerseits zum notwendigen Rüstzeug derjenigen, die sich in Kirchen und christlichen Organisationen engagieren. Gleichzeitig ist Theologie weit mehr: Sie greift umgestaltend ins Zentrum unserer Existenz hinein.

Was gute Theologinnen und Theologen ausmacht

Doch was heisst das für die Theologische Ausbildung? Was erfordert es von denen, die Theologie vermitteln? Was bedeutet es für Studierende? Neder beantwortet diese Fragen in fünf Kapiteln, in denen er durchgehend drei wichtige Namen zitiert: Den dänischen Philosophen und Christen Sören Kierkegaard und die beiden Theologen Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth. Auch sie beschäftigten sich mit der Frage, was Theologie zu leisten hat und wie sie so gelehrt werden kann, dass es ihrem ureigensten Wesen entspricht. An dieser Stelle eine kleine Auswahl zentraler Aussagen aus Neders Buch, die ich in eigenen Worten wiedergebe.

Identität

Neder beginnt, womit gute biblische Theologie beginnen muss, nämlich nicht beim Menschen, sondern bei Gott. Christinnen und Christen haben verstanden, dass ihnen in Jesus Christus alles Entscheidende gegeben ist. In Glauben und Theologie treten wir an einen gedeckten Tisch. Gott hat alles hergerichtet. Für die theologische Ausbildung heisst das: Gott ist der eigentliche Lehrer im Klassenzimmer. Die Lehrperson darf und soll damit rechnen, dass Gott selbst sich den Studierenden zeigt. Aus diesem Grund betet sie anhaltend dafür, dass Gottes Geist auch in ihrem Klassenzimmer «den Tisch deckt» und wirkt, was er wirken will.

Erkenntnis

Dozierende und Studierende sollten sich bewusst sein, dass ein sich Auskennen in der Theologie nicht dasselbe ist, wie Gott selbst zu kennen. Über Gott nachzudenken ist nicht dasselbe, wie ihm nachzufolgen. Hier ist die Theologie in besonderer Weise gefährdet. In der Geschichte tat sich zu oft ein tiefer Graben auf zwischen theologischer Reflexion und Lebensvollzug; zwischen akademischem Höhenflug und kirchlicher Realität. Wer Theologie unterrichtet ist aufgefordert, diese Trennung zu überwinden. Studierende sollen verstehen, dass «die Wahrheit in unserem Leben Wohnung nehmen will» (Karl Barth).

Ethos

In diesem Kapitel wendet Neder die oben genannte Überzeugung auf die Person des unterrichtenden Theologen an. Er spricht von der Eitelkeit und Aufgeblasenheit mancher Theologinnen und Theologen; von ihrer Sucht nach Anerkennung und Bestätigung. Ihre akademischen Leistungen dienen primär ihnen selbst. Auch Karl Barth sprach kritisch über jene, die «grosse Theologen» sein wollen. Er hält dagegen und betont, dass es im Reich Gottes nur «kleine Theologen» geben kann. Wenn diejenigen, die Theologie lehren, ganz offensichtlich im Widerspruch zu dem leben, was sie vortragen, dann ist jede Glaubwürdigkeit verspielt. Oder wie es Kierkegaard sinngemäss formulierte: Das Leben des Theologen ist die entscheidende Antwort auf die Frage, wer Gott für ihn ist.

Gefahr

Wer Theologie unterrichtet, steht in der Gefahr, seinen Lehrinhalt als ein harmloses Unterfangen zu präsentieren, das den Menschen in erster Linie besänftigt oder seinen Intellekt befriedigt. Wieder zitiert Neder Karl Barth: «Eine Theologie, die nicht auf eine Antwort zielt, die man Gott zu geben hat, ist eine falsche Theologie.» Wenn Studierende die von ihren Lehrpersonen präsentierte Theologie bloss toll finden, dann läuft vermutlich etwas schief. Denn die Botschaft der Bibel ist an vielen Stellen unbequem und provozierend. Der «erschreckend nahe Gott» (Dietrich Bonhoeffer) ruft uns in ein Leben der Nachfolge, das in vielerlei Hinsicht von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit geprägt ist. Nachfolge ist ein Risiko. Wer Theologie lehrt, stellt sich selbst und seine Studierenden immer wieder vor die entscheidende Frage: Bin ich bereit und willig, dieses Risiko einzugehen?

Wenn Studierende die von ihren Lehrpersonen präsentierte Theologie bloss toll finden, dann läuft vermutlich etwas schief.
Thomas Härry Dozent TDS Aarau

Gespräch

Schliesslich wirbt Neder dafür, den Unterricht dialogisch zu gestalten. Statt im theologischen Monolog zu verharren, soll sich der Lehrende auf ein Gespräch mit den Studierenden einlassen. Karl Barth unterscheidet im Blick auf die Theologie zwischen einem primären und einem sekundären Dialog. Im primären Dialog spricht der Mensch mit Gott. Er gibt dem Gott der Bibel persönlich Antwort; er wendet sich betend an ihn. Im sekundären Dialog geht es um das Gespräch über Gott, zum Beispiel im theologischen Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden. Theologische Lehre als sekundärer Dialog hat die Aufgabe, den primären Dialog zu fördern und zu vertiefen. Es ist ein Dialog, der in offener, freier Atmosphäre stattfinden soll. Es darf sein, dass man in manchen Fragen unterschiedlicher Meinung ist. Es darf Widerspruch geben – dies aber immer in einem Klima gegenseitiger Wertschätzung.

In der Vergangenheit haben die am TDS arbeitenden Dozierenden den von Neder formulierten Anliegen bereits in mancher Hinsicht Beachtung geschenkt. Dass wir dies auch in Zukunft und verstärkt in den Fokus nehmen, dazu lädt uns dieses kleine, anregende Buch von Adam Neder ein. Übrigens: Es geht bei den genannten Themen nicht bloss um Anliegen, die für das Theologiestudium wichtig sind. Sie lassen sich auch auf andere Vollzüge anwenden, zum Beispiel auf Predigt und Seelsorge.

Thomas Härry ist Theologe und Teil des Teams Bildung des TDS Aarau. Er zudem Referent, Berater für Führungskräfte und Autor mehrerer Bücher.