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Kloster neu denken (1/2): Stadtkloster Frieden

Sie sind kein Kloster – und leben doch gemeinsam eine Art «Ora et Labora». Sie sind Teil unserer modernen Gesellschaft – und schöpfen doch aus jahrhundertealten Traditionen. Was führt Menschen in solche «moderne Klostergemeinschaften»? Matthias Ackermann trifft Bewohnerinnen und erhält Einblicke in zwei Gemeinschaften, die noch keine zwei Jahre alt sind. Teil 1/2: Stadtkloster Frieden in Bern

Kirchengebäude mit Leben füllen

«Als Gemeinschaft wollen wir diesen Ort beleben, gestalten und andere daran teilhaben lassen», bringt Carolina das Ziel des Stadtklosters Frieden auf den Punkt. Sie wohnt mit ihrer Familie im «Pfarrhaus» neben der Friedenskirche Bern. Die Kirche aus dem Jahr 1920 thront massiv auf einer Anhöhe im Mattenhofquartier in Bern.

Ungenutzte Kirchenräume mit Leben füllen

Die Idee für das «Stadtkloster Frieden» – wie das Projekt genannt wird – ging von Anna und ihrem Mann Simon aus. Sie wohnten mit ihrer Familie schon über zehn Jahre in einer ähnlichen Gemeinschaft, die aber zu einem Ende kam. Auf der anderen Seite fasste die reformierte Kirche Bern eine Umnutzung des Areals der Friedenskirche ins Auge. Aufgrund rückläufiger Mitgliederzahlen schrumpfen die Finanzen und die Auslastung der Kirchen. Eine typische Situation: Kirchgemeinden stehen vor der Wahl, ihre Gebäude umzunutzen (und damit zu «entsakralisieren»), oder es gelingt ihnen, diese mit neuem (kirchlichem, spirituellem) Leben zu füllen.

Zurück zu Anna und Don Camillo: Ihre Idee eines Stadtklosters traf auf die Entwicklung rund um die Friedenskirche. Sie suchten Gleichgesinnte und gründeten das Stadtkloster Frieden. Eine kleine Gruppe einigte sich mit der Kirche auf eine 5-jährige Pilotphase, die im Jahr 2023 begann. Die Gemeinschaft unterhält das Areal und vermietet die Räume. Im Gegenzug können sie selber die Räume auch nutzen – für Gebete, ein Café und Themenabende. Zudem ergänzt und unterstützt die Gemeinschaft die Angebote der reformierten Kirche. «Es ist schön zu sehen, wie sich das Areal der Friedenskirche nach und nach mit Leben füllt», meint Carolina.

Es ist schön zu sehen, wie sich das Areal der Friedenskirche nach und nach mit Leben füllt.
Carolina Bewohnerin Stadtkloster Frieden

Ein Lebensprojekt

Heute gehören zur Gemeinschaft 10 Erwachsene und 8 Kinder. Sie bewohnen das frühere Pfarrhaus, das Sigristenhaus oder Wohnungen im Quartier. Weitere Menschen fühlen sich mit der Gemeinschaft verbunden und wirken punktuell mit.

«Ohne die Unterstützung vieler Menschen könnten wir das Projekt nicht tragen. Wir investieren viel, es ist ein Lebensprojekt.» Bettina versteht es in doppeltem Sinn: Alle Lebensbereiche sind betroffen: Familie, Beruf, Ehrenamt, Freizeit … Und das Projekt wird auf viele Jahre hinaus angedacht. «Wir verstehen das Projekt als Aufgabe, die wir nicht aus eigener Kraft bewältigen können – es braucht Gottes Wirken, damit es gelingen kann.»

Wir verstehen das Projekt als Aufgabe, die wir nicht aus eigener Kraft bewältigen können – es braucht Gottes Wirken, damit es gelingen kann.
Bettina Bewohnerin Stadtkloster Frieden

Die Gemeinschaftsregeln entstehen im Zusammenleben. Sie sind – noch nicht – fix festgeschrieben, sondern entwickeln sich organisch. Dies zeigt sich beispielsweise an der Frage nach integrativem Wohnen. Dazu Bettina: «Bei uns leben momentan auch Flüchtlinge, für die es schwierig ist, Wohnraum zu finden. Allerdings merken wir, dass wir momentan, mitten im intensiven Aufbau, kaum Kapazität haben, Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu begleiten.»

Das rechte Mass

Alle investieren viel, stellen Anderes zurück, arbeiten nur teilzeitlich. Wie bei einer Familie wird der Umfang und die Verteilung der Aufgaben flexibel gehandhabt: «Innerhalb der Gemeinschaft gibt es unterschiedliche Ressourcen», erklärt Bettina. «Alle tragen das zur Gemeinschaft bei, was sie können. Daraus entsteht ein spannendes Ganzes.» Doch sie seien gerade daran, gewisse Arbeiten in Teilzeitanstellungen umzuwandeln, die dann vom Verein getragen würden.

«Ora et Labora» konkret

Einmal pro Monat gibts einen Workshopmorgen für die ganze Gemeinschaft. Da werden Diskussionen geführt, Entscheidungen gefällt und inhaltlich in das Projekt investiert. Ebenfalls einmal pro Monat heisst es «Ora et Labora»: Nach einem gemeinsamen Gebet wird in den Gebäuden und im Umschwung gearbeitet. Ein Gemeinschaftsabend findet wöchentlich statt: Zusammen essen, Bibellesen, Austauschen. Ab und zu ist er offen für Gäste, denn die Vernetzung mit Personen aus anderen Gemeinschaften und mit Interessierten ist bereichernd und wichtig.

Wir wollen auch im Quartier eine ganzheitliche Erfahrung von Kirche ermöglichen.
Anna Bewohnerin Stadtkloster Frieden

Erfüllende Herausforderung

Warum entscheiden sich Familien freiwillig für eine Lebensform, die auch herausfordernd ist und die persönliche Freiheit einschränkt? Der gemeinschaftliche Lebensstil sei «eine ganzheitliche Erfahrung und eine sehr lebensnahe Umsetzung von Christsein», meint etwa Anna. Carolina schätzt die Mischung: «Wir bauen Neues auf – und integrieren Elemente, die wir nicht verändern können und die uns dadurch eine Struktur geben. Wir arbeiten und beten zusammen.» Das Gebet sei das Fundament der Gemeinschaft. Bettina findet, das gemeinschaftliche Leben sei eine grosse Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln. «Natürlich bringt es Herausforderungen mit sich. Sich diesen zu stellen, dazu muss man bereit sein. Es ist aber eine Herausforderung, die erfüllt; ein Stück Reich Gottes – nicht, weil es einfach ist, sondern weil Jesus uns in der Gemeinschaft untereinander begegnet.»

Montmirail, Taizé, Ökumene

Zur Gemeinschaft gehören Menschen mit reformiertem, katholischem und freikirchlichem Hintergrund. Das Finden einer gemeinsamen Spiritualität war aber kein Problem: Die Gemeinschaft entlehnt Elemente der Communität Don Camillo (Liturgien), aus Taizé (Lieder) und aus der katholischen Kirche (den Bibelleseplan) – und ist örtlich verbunden mit der reformierten Kirche.

Modell für respektvolles Miteinander und gelebtes Evangelium

Welche Gedanken gibt es bezüglich der Zukunft? Anna: «Ein Kloster zu sein ist ein niederschwelliger, spannender und unkomplizierter Anknüpfungspunkt an den christlichen Glauben. Ich wünsche mir, dass dieses Potential noch mehr ausgeschöpft wird: Mehr Gäste, mehr Leben; dass wir Anteil geben können am Evangelium und an unserer Gemeinschaft.»

Carolina: «Ich wünsche mir, dass das Stadtkloster verschiedenste Anknüpfungspunkte zur Gemeinschaft und zur Mitgestaltung schaffen kann und dass wir ein respektvolles Miteinander in unterschiedlichen Glaubensformen erlernen können.»

Bettina: «Wir wollen keine eigene Kirche sein – aber wir sind Teil der Kirche Jesu Christi. Mein Wunsch ist, dass Jesus durch uns – Menschen, Gebäude, unsere Ressourcen – in die Kirchenlandschaft hineinwirken kann, die momentan nach Wegen für die Zukunft sucht.» Und: «Dass Gott uns Schritt für Schritt weiterführt.»

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Das Stadtkloster Frieden ist eine ökumenische Lebensgemeinschaft mitten in der Stadt auf dem Gelände der Friedenskirche – «ein Ort, wo Gebet, Gemeinschaft und Arbeit zusammenkommen.»
www.stadtkloster-frieden.ch

Kaffeepause mit Bewohnerinnen, Coworkern und Gästen des Stadtklosters Frieden im «Empfang», einem gemütlichen Raum zwischen Kirche und Pfarrhaus.
Die Friedenskirche in Bern