Bericht

Kirche als Anerkennungsgemeinschaft

Matthias Ackermann

Tag der Absolventinnen und Absolventen mit Lukas Kundert,
Kirchenratspräsident Basel Stadt

Rund 80 Teilnehmende fanden sich ein zum Tag der Absolventinnen und Absolventen. Das Thema: Neue Finanzierungsmodelle der reformierten Kirche. Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt und Pfarrer am Basler Münster, gewann mit seiner persönlichen und engagierten Art rasch die Aufmerksamkeit des Publikums.

«Ich bin nervös», begann er sein Referat. «Über Institution kann ich reden, über Gemeinschaft seid ihr Fachpersonen!» Kundert zeigte Wege zu einer gemeinschaftsorientierten Kirche trotz sinkender Finanzen auf. Er erinnerte an die Herausforderungen der letzten 30 Jahre: sinkende Mitgliederzahlen, schrumpfende Steuereinnahmen. Kundert leitete eine Neustrukturierung ein. Am auffälligsten dabei: Die Fusionierung von 18 Kirchgemeinden. Ziel war, Gemeinschaftsarbeit nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken.

Eine Kernfrage war: Was «kaufen» Menschen mit der Kirchensteuer? Antwort: das Institutionelle. Wer zahlt freiwillig für Gemeinschaftsangebote? Menschen, die den Wert kirchlicher Arbeit erkennen. Deshalb setzte Basel auf Diversifizierung: Pfarrpersonen und Sozialdiakone sollten ihre Stärken und ihr Herz mehr einbringen können. Das Gemeindegebiet wurde neu betrachtet: Welche Ressourcen gibt es, welche Bedürfnisse bestehen? Daraus entwickelten sich spezialisierte Kirchgemeinden mit individuellen Schwerpunkten.

Das Gemeindegebiet wurde neu betrachtet: Welche Ressourcen gibt es, welche Bedürfnisse bestehen? Daraus entwickelten sich spezialisierte Kirchgemeinden mit individuellen Schwerpunkten.
Lukas Kundert Kirchenratspräsident Basel Stadt

Dieser Prozess verlangte Überzeugungsarbeit, Umstrukturierungen und ein neues Finanzierungsmodell. Historisch war die Finanzierung der Kirche institutionell geprägt: Bis 1915 deckte die Kirchensteuer Gottesdienste, Hochzeiten und Seelsorge, Gemeinschaft fand in Freikirchen statt. Erst ab 1939 reagierte die Kirche auf das Bedürfnis nach Gemeinschaftsangeboten. Traditionell deckt die Kirchensteuer zuerst institutionelle Arbeit, erst der Überschuss fördert Gemeinschaftsangebote.

Basel stellte auf ein «Holding»-Modell um: teilautonome Kirchgemeinden, Projekte und Kommunitäten unter einer Gesamtkirchgemeinde. Fundraising und Marketing wurden ausgebaut, Fördervereine spielten eine zentrale Rolle. Das Resultat: Kirchgemeinden fanden gezielt Unterstützer für ihr spezifisches Profil. So konnten sie neue Projekte realisieren. Lukas Kundert unterstrich dies mit zwei Beispielen:

  • In der Bruderholz-Gemeinde generierten kleine monatliche Spenden bis zu einer Million Franken jährlich.

  • In der Matthäuskirche – im «Migrationsquartier» von Basel – entstand ein «Sonntagszimmer»zum Feiern und Essen.

Pause: Austausch bei Kaffee und Gipfeli

Das herkömmliche Finanzierungsmodell, das sich an Mitgliederzahlen orientiert, steuert Pfarrpensen und Gemeindearbeit oft ohne Berücksichtigung der Relevanz von Angeboten. Dies führt zu Kürzungen, Frustration und Innovationshemmung. Im Prozess wurde den Fakten ins Auge geschaut:

  • 50 % der Kirchenmitglieder sind gemeinschaftsorientiert. Die Steuereinnahmen allein reichen nicht, um diesem Bedarf gerecht zu werden.

  • Ein Gottesdienst kostet 1800 Fr. Die Frage bleibt: Sind Menschen bereit, für kirchliche Dienstleistungen selbst mehr zu zahlen?

  • Kirchen sprechen traditionell oft nur zwei von zehn «Sinus-Milieus» an: gehobene Bürgerliche und genügsam Traditionelle. Kundert: «Die Kirche für alle zu sein, ist eine Illusion.»

Heute ist die Basler Kirche zu 40 Prozent von den Kirchensteuereinnahmen unabhängig, im Bereich der Gemeinschaftsarbeit sogar zu 75 Prozent! Doch der Weg dazu brauchte Ausdauer. «Einsicht geschieht nicht durch Theorie», so Kundert. «Veränderung geschieht in der Praxis: Anstossen, Umsetzen, Analysieren, Anpassen. Es dauert rund acht Jahre, bis sich Erfolg zeigt – viele geben nach zwei Jahren auf.»

Der Referent im Gespräch

Zum Schluss betonte Kundert den Wert von Kohärenz: Durch Synergien wurden Ressourcen gespart, rechtliche Strukturen vereinheitlicht und Zusammenarbeit gestärkt. «Der Prozess brauchte immer wieder Versöhnung am Tisch des Herrn.» Und: «Unsere Identität ist nicht durch Institutionen geprägt, sondern durch Gottes Vaterschaft. Kirche ist eine Anerkennungsgemeinschaft. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen – in allen Gremien und Bereichen.»

Lukas Kundert (1966) ist Kirchenrats­präsident und Dekan der Evangelisch-­reformierten ­Kirche des Kantons Basel-Stadt, Professor für Neues Testament an der Universität Basel und Pfarrer am ­Basler Münster. Vorher war er fünf ­Jahre lang Industriepfarrer.

Das Referat regte an zum Austausch.