Inspirationstour: Kirchenentwicklung vor Ort erleben – in der Stefanskirche Zürich Hirzenbach
In der Ref. Stefanskirche in Zürich Hirzenbach geht es aussergewöhnlich zu und her: Fast 200 Schlüssel für die Kirche sind im Umlauf, weil viele Freiwillige direkten Zugang zu den Räumen haben sollen. Weiter ist die Kirchgemeinde mit verschiedenen diakonischen Angeboten wie einem attraktiven Café oder einer Villa YoYo für Kinder im Quartier sehr präsent. Und nun steht die Frage im Raum, ob die alte Kirche einem Ersatzneubau weichen soll.
Das neue Weiterbildungsformat der HF TDS Aarau, die Inspirationstour Kirchenentwicklung, hat ihren ersten Halt in einem Aussenquartier der Stadt Zürich eingelegt. In den ansprechenden Räumen des Coffee&Deeds fühlt man sich als Gast sofort wohl. In diesem Café wird nicht nur getrunken oder gegessen. Von hier finden auch „gute Taten“ ihren Weg zu den unterschiedlichsten Menschen im Quartier. Ob Sprachkurs, Gebet oder Nachhilfe für Kinder: Da ist Raum für Vielfalt, angeboten durch Freiwillige aus Quartier und Kirchgemeinde.
Empfangen werden wir von mehreren Mitarbeitenden und dem Präsidenten der Kirchenpflege. Drei Impulsreferate mit anschliessender Fragerunde nehmen uns mit auf eine Entdeckungsreise zu einer Kirchenentwicklung mit Quartierfokus.
Schon bei der Vorstellungsrunde fällt auf, dass es in der Stefanskirche unkonventionell zu und hergeht: Hier wirken Menschen als „Ermöglicher“, als „Arealentwickler“ oder ein TDS-Absolvent als „Innokon“. Es sind Angestellte, die Zeit haben. Zeit für Innovation, für Entwicklungsprojekte und für die Förderung von Freiwilligen abseits des brummenden Tagesgeschäfts.
Hier wirken Menschen als „Ermöglicher“, als „Arealentwickler“ oder als „Innokon“.
Wir erhalten Einblick in eine Kirche, die sich in der Verantwortung sieht, ihr Quartier mitzugestalten. Ein Pumptrack wird gebaut und der „Ermöglicher“ koordiniert das Projekt. Die Quartier-Strasse soll zur Begegnungszone mit Tempo 20 werden - initiiert durch die Kirchgemeinde. Die Villa YoYo begrüsst viele Kinder mit Migrationserfahrung und ist im Kontakt mit deren Eltern. Das Coffee&Deeds gibt es neu auch in mobiler Form als Kaffeewagen in der Nachbarschaft oder beim Kirchenkaffe. Vor kurzem wurde die Kirchenhecke zusammen mit vielen Nachbarinnen und Nachbarn ausgerissen, damit zusammen mit dem Nachbargrundstück eine grosse Spielwiese für die Kinder entsteht. Eine Online-Vernetzungsplattform in Zusammenarbeit mit Quartierverein und Gemeinschafszentrum verbindet die ältere Generation im Quartier ganz praktisch. Es werden Austausch, Begegnungen und Aktivitäten organisiert und über die Plattform bekannt gegeben. Das neue Projekt „Colabora“ verbindet Coworking mit Gemeinschaft und Gebet. Willkommene Nebeneffekte: Die Förderung einer kreativen Atmosphäre und eine bessere Auslastung der Gemeinderäume.
Mit ihren Liegenschaften hat die Stefanskirche kühne Pläne. Die alte Kirche soll einem Ersatzneubau weichen: dem Stefansviertel. Aus einem Architekturwettbewerb ist ein Siegerprojekt hervorgegangen, welches zurzeit überarbeitet wird. Das Projekt umfasst diverse Wohneinheiten, Coworking und Räume für gemeinsames Feiern und Essen. Die gelebte Spiritualität soll darin ebenfalls einen wichtigen Raum einnehmen mit einer Kapelle sowie einem neuen, grossen Gottesdienstraum, der auch unter der Woche Lebensraum sein darf. Noch ist offen, ob die Umsetzung gelingt. Doch bereits der Mut, mit den Kirchenräumen die Quartierentwicklung massgeblich mitzugestalten, ist aussergewöhnlich.
In sogenannten Gartengesprächen nimmt man sich hier Zeit für alle Menschen, die sich engagieren möchten. Gemeinsam wird darauf geschaut, wo und wie sie am besten aufblühen und ihre Begabungen einbringen können.
Und immer wieder wird deutlich: Hier tragen unzählige Freiwillige zum Gelingen bei. Das ist kein Zufall: Die Gemeinde hat eine lange Geschichte als Mitmach-Kirche. In sogenannten Gartengesprächen nimmt man sich hier Zeit für alle Menschen, die sich engagieren möchten. Gemeinsam wird darauf geschaut, wo und wie sie am besten aufblühen und ihre Begabungen einbringen können. Zur Wertschätzung gehören unter anderem auch regelmässige Fördergespräche.
Längst verlässt sich die Kirchgemeinde angesichts ihrer zahlreichen Projekte nicht mehr nur auf die Steuermittel. Fundraising erweitert den Handlungsspielraum der Stefanskirche - sei dies durch Stiftungsgelder, Innovations-Fonds, Crowdfunding-Aktionen (viele kleine Spenden werden projektbezogen gesammelt) oder durch den eigens gegründeten Förderverein. Projekte werden wenn möglich so konzipiert, dass sie mit der Zeit selbsttragend sind.
Die Gemeindeleitung lässt jedoch durchblicken, dass sie beim Förderverein viel Luft nach oben sieht. Noch sind die regelmässigen Spendeneingänge überschaubar. Man wünscht sich ein wachsendes Bewusstsein unter den aktiven Mitgliedern, dass die eigene Kirchgemeinde freiwillig mitgetragen wird – durch Engagement und durch Finanzen.
Kirchenpfleger Thomas Bucher merkt an, dass die evangelischen Landeskirchen in den deutschsprachigen und einigen skandinavischen Ländern in Bezug auf ihre Finanzierung durch Kirchensteuern international ein Sonderfall seien. Die überwiegende Mehrheit der evangelischen Kirchen auf dieser Welt kennt keine Kirchensteuern. Die Finanzierung durch Spenden und Fundraising ist der Normalfall. Etwas, was auch bei uns zunehmend wichtig wird – zumindest in Ergänzung zu den (willkommenen) Steuermitteln.
Fast alles perfekt also in Hirzenbach? Nein, die Gastgeber nennen auch konkrete Herausforderungen im Gemeindeaufbau. So ist es für die Stefanskirche immer wieder schwierig, Freiwillige für grössere Aufgaben mit Verantwortung zu gewinnen.
Als weiterer Knackpunkt wird die Schaffung von grenzüberschreitender Gemeinschaft genannt. Die Gemeinde fördert viele Begegnungsorte im Quartier, doch die entstandenen Menschengruppen in den jeweiligen Projekten bleiben öfters unter sich.
In den Angeboten mit Glaubensinhalt kommt es immer wieder zu Transferwachstum – Menschen wandern von anderen Kirchgemeinden ab und kommen zur Stefanskirche. Eigentlich wünscht sich diese etwas anderes: Kirchenferne Menschen aus dem Quartier, die sich neugierig auf eine Glaubensreise begeben.
Auf die Frage nach möglichen ersten Entwicklungsschritten für Kirchgemeinden am Anfang ihrer Entwicklungsreise nennt das Team der Stefanskirche diese Aspekte:
Die „Gartengespräche“ haben sich als ein Schlüssel für die Förderung von Freiwilligen herausgestellt.
Das Gebet als Ressource geniesst in Hirzenbach grosse Wertschätzung.
Eine Begleitung des Teams durch einen externen Gemeinde-Coach über längere Zeit kann sehr hilfreich sein für die Reflexion.
Als Kirche Vernetzungsplattformen schaffen und fördern lohnt sich. Vieles entstand auch einfach durch das rege genutzte Anschlagbrett im Coffee&Deeds.
Die Türen auch unter der Woche zu öffnen, ist eine Chance. Durch das Café hat die Kirche sechs zusätzliche Tage offen für die Menschen im Quartier.
Das Potenzial der eigenen Gemeinde identifizieren und nutzen. Was viele Ressourcen braucht, soll regelmässig geprüft und ggf. abgeschafft werden.
Mutig loslaufen, ausprobieren und Neues wagen!
Was hier spürbar wird, ist eine Ermöglichungshaltung, die auf allen Ebenen dieser Kirche gelebt wird.
Was an diesem Abend spürbar wird, ist eine Ermöglichungshaltung, die auf allen Ebenen dieser Kirche gelebt wird: Die Kirchenpflege sieht ihre Aufgabe darin, die Angestellten strategisch und freisetzend zu begleiten und betreibt kein Mikromanagement. Angestellte trauen den Freiwilligen viel Verantwortung zu. Sie halten sich selbst wo möglich im Hintergrund und begleiten die Engagierten wertschätzend. Und die vielen Freiwilligen verstehen sich als lebendiger Teil einer Kirche, die ihre Aufgabe darin sieht, Gottes Liebe grosszügig an ihr Quartier zu verschenken.
Hoffnungsvoll steige ich zum Ende des Abend wieder in den Zug mit dem Eindruck:
So macht Kirche Freude, so schmeckt Zukunft!
Das Weiterbildungsformat der Inspirationstour geht weiter und macht im 2025 an neuen Stationen halt. Einsteigen lohnt sich!