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Einbeziehen und mitwirken lassen

Kathrin Hunn-Vogler

Das TDS will mit seiner neuen Ausbildung in Sozialdiakonie und Gemeindeanimation HF noch vertiefter die Studierenden befähigen, auf allen Ebenen partizipativ zu arbeiten. Der Fokus soll die Förderung der sozialen Teilhabe von allen Menschen in der Gesellschaft sein: In der Kirche, aber auch darüber hinaus im Quartier und in der Stadt.

Soziale Teilhabe ist ein wichtiger Begriff in der Gemeindeanimation. Menschen sollen ihren aktiven Platz haben und nicht nur Empfänger von Leistungen und Programmen sein. Soziale Teilhabe ist in der Literatur eng mit dem Begriff der Partizipation verbunden. «Participare» aus dem lateinischen kann zweifach gedeutet werden: Aktiv als «Teilhabe ergreifen», eher passiv als «teil-nehmen». Bei einer blossen Teilnahme definieren Fachleute, Gesetze oder Regeln die Form der Beteiligung. Bei der Teilhabe geht es immer um Prozesse, bei denen die Betroffenen im Hinblick auf ihr persönliches Leben oder ihr soziales Lebensumfeld selber Entscheidungen treffen sollen. So dürfen z. B. Stimmbürger/-innen im ersten Fall über ein Gesetz abstimmen. Im zweiten Fall wirkt z. B. eine Gruppe von Bewohnern bei der Planung und Gestaltung eines neuen Quartierspielplatzes mit.

Teilnahme oder Teilhabe?

Soziale Teilhabe muss gewollt und gefördert werden – von Gruppen, Organisationen, Kirchen, Gesellschaften. Gleichzeitig sollen Menschen befähigt werden, diese Mitgestaltungsräume und –möglichkeiten zu ergreifen und zu gestalten.

Momentan bin ich in meiner Arbeit als Schulsozialarbeiterin am Aufbau eines Schülerrates für eine ganze Primarschuleinheit – ein sehr spannendes Projekt. Schülerinnen und Schüler sollen mitbestimmen, sich einbringen und eigene Projekte entwickeln. So gewollt die Mitbestimmung und Beteiligung der Schülerinnen und Schüler sind, so werden auch «Ängste» geweckt auf Seiten der Schule als Organisation: «Was, wenn die Ideen der Schülerinnen und Schüler zu extrem, zu kostspielig oder ‹pädagogisch nicht sinnvoll› sind?» – Schnell sind Einschränkungen zur Stelle darüber, was aus Sicht der Schulleitung nicht verhandelbar ist.

Betroffene als Experten

Partizipation ist eine Grundhaltung. Zutrauen, Vertrauen, Verlässlichkeit und Offenheit sind Bedingungen dafür. Den Betroffenen – hier im Beispiel den Schülerinnen und Schülern – wird zugetraut, dass sie selber auf Ideen kommen und sagen können, was sie sich für ihren Schulraum und das Zusammensein wünschen und brauchen. Ihnen wird zugetraut, dass sie den Schülerrat auch selber leiten und protokollieren können. Sie sind die Experten für ihre Lebenswelt.

Am Beispiel meines Projektes: Es ist wichtig, dass ich mich immer wieder zurücknehme. Ich begleite die Kinder als Coach und helfe ihnen, in die neue Arbeitsweise hineinzuwachsen. Sie lernen, wie sie sich selber eine Meinung bilden, diese vertreten sowie Ideen entwickeln und weiterverfolgen können. Falls sie einen Swimmingpool auf dem Schulhausplatz wollen, werde ich die Idee nicht im Keim ersticken. Ich werde sie – wenn sie dies wollen – darin beraten, wie sie die notwendigen Informationen über Kosten etc. finden und wo sie ihren Vorschlag deponieren können. Vielleicht kommen sie während diesem Prozess auf eine neue Idee, ihren ursprünglichen Wunsch umzusetzen.

Partizipation bedingt ein Mitdenken von allen Seiten. Traktanden im Schülerrat können von den Kindern oder von der Schulleitung kommen. Letztere muss sich immer wieder überlegen, wo sie die Schüler in Projekte, Leitbildprozesse, ins Festlegen von Regeln usw. einbeziehen kann und will.

Empfangende werden zu Mitgestaltenden

Soziale Teilhabe verhilft zu einem Gefühl der Zugehörigkeit. Der Mensch, wo er auch steht im Leben, wird ernst genommen. Ihm wird viel zugetraut. Er wird unterstützt, seine Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Dabei erstarkt auch die Gesellschaft, wie das Beispiel von Lebensmittelabgaben für Bedürftige zeigt: Hier werden Nutzerinnen und Nutzer eingeladen, im Team mitzuarbeiten und ihre Gaben einzubringen. So werden sie von Empfangenden zu Mitgestaltenden des Angebots. Sie kennen die Bedürfnisse von ihresgleichen besser als die Initiantinnen des Projekts. Sie erfahren soziale Einbettung und Wertschätzung, die beflügeln kann.

Bedürftige werden eingeladen, mitzuarbeiten und ihre Gaben einzubringen. So werden sie von Empfangenden zu Mitgestaltenden.

Partizipation findet auf ganz verschiedenen Stufen statt. Sie kann in allen Lebensbereichen gelebt werden – in Kirchen, Quartieren, Gemeinschaften und Organisationen. In der Literatur finden sich verschiedenste Modelle dazu. Die Tabelle unten zeigt verdichtet drei Stufen der Partizipation.

Ein Beispiel aus meiner Jugend illustriert die Tabelle: Als «Könflerin» wollte ich mit Kolleginnen und Kollegen ein Jugendkafi im Kirchgemeindehaus eröffnen. Von unserer Sozialdiakonin und dem Verantwortlichen der Kirchenkommission wurden wir vorbildlich begleitet und unterstützt. Wir richteten «unser Kafi» ein und betrieben es. Wir empfanden es als selbstverwaltet. In Wahrheit war es wohl eher auf der Stufe «bereichsweise Selbstbestimmung», da uns u.a. Finanzen, Räume und Arbeitszeit der Kirche zur Verfügung gestellt wurden. Mit dem Abgang unserer Generation aus dem Projekt starb das Kafi dann relativ schnell. Dies darf sein. Diese Form der Teilhabe war für uns richtig. Jede Gruppe darf und muss ihre Form finden. Partizipation ist ein dynamischer Prozess.

Bei Gott gibt es keine Teilnehmer

Jesus lädt alle Menschen ein an seinen Tisch – unabhängig von Alter, Geschlecht, gesellschaftlichem Stand, Gesundheit, Vermögen … Insbesondere Menschen am Rande der Gesellschaft hat er in die Gemeinschaft mit ihm eingeladen. Er geht auf sie ein und fordert sie heraus, weitere Schritte selber zu tun. Alle sind eingeladen, seine Nachfolger zu werden und mit ihm an Gottes Reich zu bauen. Bei Gott gibt es keine Teilnehmer, sondern nur Teilhaberinnen und Teilhaber.

Soziale Teilhabe zu fördern ist sehr vielseitig und spannend, und nicht immer einfach, aber meiner Meinung nach gewinnbringend für alle Seiten und schliesslich einfach unser Auftrag als Menschen.

Kathrin Hunn hat Soziale Arbeit studiert und ist Konrektorin des TDS Aarau.