Artikel

Lachen ist gesund

Gisella Bächli

Gisella Bächli arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Menschen, die von Sucht oder psychischen Schwierigkeiten betroffen sind sowie mit deren Angehörigen. In widrigen Umständen aufgewachsen, verhalf ihr der Humor dennoch zu einer glücklichen Kindheit. Mit Humor begegnet sie Menschen auf Augenhöhe – oft ein Schlüssel in ihren Begegnungen.

Ich werde oft gefragt, ob ich ursprünglich aus dem Bündnerland oder Tessin komme. Mein spezieller «Schwiizerdütsch-Dialekt» (eine Eigenkreation!) hat mich schon oft ganz natürlich ins Gespräch gebracht. In Basel geboren als Kind von italienischen Eltern, die sich kurz nach meiner Geburt scheiden liessen, bin ich in einer privat-katholischen Nonnenschule aufgewachsen – eine italienische Insel mitten in der Schweiz. Als ich mit 12 Jahren ins Gymnasium übertrat, konnte ich nur gebrochen Hochdeutsch. Mein Deutschlehrer muss oft an mir verzweifelt sein, da ich den Dativ nicht vom Akkusativ oder Genitiv unterscheiden konnte. Er sagte immer wieder: «Du musst es hören!!» Doch ich hör(t)e gar nichts.

Glückliche Kindheit trotz schwierigen Bedingungen

Anna Garofalo, meine «Mamma», war eine unkomplizierte, humorvolle kleine Frau aus Neapel (siehe Gyalog, R., 1991, «Bella Brutta – Anna Garofalo und ich). Mitten in widrigen Umständen war sie mein Leuchtturm und meine allerwichtigste Bezugsperson. Ich wuchs mit vielen Tabus und dunklen Stunden auf. Dennoch schaffte es meine Mutter, mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich erfuhr: Auch unter schwierigen Bedingungen ist eine glückliche Kindheit möglich oder kann nachgeholt werden – eine Freudenbotschaft! Und: Humor ist ein wichtiger Schlüssel dazu.

Mit 23 Jahren absolvierte ich eine Ausbildung am icp Olten (Höhere Fachschule für Sozialpädagogik, damals scs). Ich liess damals eine sichere Anstellung mit Aufstiegsmöglichkeiten und sehr gutem Lohn bei der Post hinter mir. Ich war suchend und wollte dort sein und das tun, wofür ich mich von Gott gerufen und geliebt wusste. Meine tiefe Sehnsucht veranlasste mich zu einem «Routine-Durchbruch» (eine komplette, unerwartete Wendung; Theatersprache) und ich wechselte 1999 zu einer Gassenarbeit in Basel, wo ich viele Jahre auf Spendenbasis arbeitete. Mein Willkommensgruss beim ersten Gasseneinsatz war ein ärgerliches: «Was luegsch?! Arschloch.» Zu Beginn war auch viel Gegenwind seitens meiner Familie da, die eine so unsichere Stelle an einem «so gefährlichen Ort» nicht guthiess. Trotzdem habe ich diesen Schritt nie bereut.

Humor als Türöffner

Die Menschen mit einer Suchtproblematik wurden zu meinen besten Lehrerinnen und Lehrern. Sie haben mich regelrecht gezwungen, meine frommen Masken abzulegen («nicht heiliger tun, als ich bin») und halfen mir zu mehr Authentizität und Echtheit. Diese Menschen und diese Zeit meines Lebens habe ich von ganzem Herzen geliebt!

Menschen mit einer Suchtproblematik haben mich gezwungen, meine frommen Masken abzulegen.
Gisella Bächli Sozialpädagogin HF, Theaterpädagogin

Der Humor war oftmals Türöffner bei den Begegnungen auf der Gasse. Nicht umsonst heisst es, dass das Lachen die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen ist und Brücken baut. Dafür muss man nicht einmal die gleiche Sprache sprechen; es ist eine Herz-zu-Herz-Verbindung. Wo ich mit Menschen lachen konnte, ergab sich ein ganz natürliches Wachstum in verschiedener Hinsicht. Auch als Team – wir waren in einer Pionierphase und mit herausfordernden Situationen konfrontiert – hat uns der Humor zu einer gesunden Psychohygiene und einer guten Distanz zur Arbeitsbelastung verholfen. Denn Humor ist weit mehr als Lachen. Er schafft eine lockere Atmosphäre, in der alles etwas leichter fällt und die Hoffnung aufblühen lässt.

Aus dieser unspektakulären Arbeit mit fünf leidenschaftlich engagierten Menschen wuchs die heutige Diakonische Stadtarbeit ELIM. Eine gesellschaftsrelevante, professionell-christliche Institution mit über 60 Mitarbeitenden. Wow! Diese Zeit hat mich ermutigt, weiter nach kreativen Wegen in der Begegnung mit Menschen zu suchen. Ich habe mich anschliessend im Bereich Theaterpädagogik (die exzellente Mischung von Improvisation und Clownerie) weitergebildet und war fasziniert, wie heilsam Humor auf den Menschen wirken kann.

Humor ist Liebe

Seit über 25 Jahren bin ich nun mit unterschiedlichsten Menschen und Zielgruppen unterwegs. Neben all den gelernten Methoden ist der Humor ein wertvolles Instrument in meiner Werkzeugkiste, denn Humor ist ein Zeichen tiefster Menschlichkeit. Oder, wie es Titze und Patsch formulieren: «Kommunikation ohne Humor ist wie ein Haus ohne Fundament.» (Titze/Patsch, 2014. Die Humor-Strategie. Auf verblüffender Art Konflikte lösen). Humor hilft in der Begegnung mit der sterbenden Frau, der Person mit einer Alkoholproblematik, Lehrpersonen, Sozialarbeiterinnen oder Politikern. Humor baut auf Liebe und Respekt auf, denn er «nimmt nicht auf, sondern in den Arm». Humor ist eine Ausdrucksform der Liebe. Im Matthäusevangelium heisst es: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Dies ist das grösste und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.» (Matth. 22,37f) Der berühmte Schweizer Clown Dimitri brachte es auf den Punkt: «Ohne Liebe funktioniert sowieso nichts.»

Gisella Bächli leitet das Themencafé des Vereins Lazarus. Dieses bietet einen Ort der Begegnung und des Austauschs zu einem alltagsrelevanten Thema an und richtet sich an Menschen mit psychischen Schwierigkeiten und deren Angehörige.

Trotzmacht mitten im Alltag

Humor ist eine «Trotzmacht» – mitten im Alltag, mitten in widrigen Umständen. Humor ist für uns Menschen so wesentlich wie das Salz in der Minestronesuppe. Auch in unserer Familie ist Humor eine kostbare Ressource und hat uns schon so oft durch die Durststrecken unseres Ehe- und Familienlebens hindurchgeholfen. Mein Ehemann Matthias ist mir dabei ein Vorbild und meine Kinder sind eine grosse Inspiration. Gemäss Dr. Hirschhausen – «Willst du recht haben oder glücklich sein?» – üben wir uns immer wieder darin, glücklich auf unser Recht zu verzichten. Das braucht (De-)Mut: Sich nicht ununterbrochen wichtig nehmen oder mehr sein wollen, als man ohnehin schon ist – geliebt und einzigartig. Humor will weder etwas produzieren noch erzwingen, sondern will im «Hier und Jetzt» beschenken. Humor ist die hohe Kunst, zu bejahen und zu akzeptieren, vertrauensvoll einzutauchen in das, was ist, ohne sich dabei zu verlieren. Oder, wie es Jonathan Gutmann ausdrückt: «Humor ist eine Gabe, ein Geschenk des Himmels und äusserst vielfältig. Für mich reiht sich Humor nahtlos ein in die Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Mit ihnen können wir eine bessere Welt schaffen. Humor ist eine Einstellung und Haltung, eine Charaktereigenschaft und Stärke. Wer sich den Schwierigkeiten des Lebens mit Humor entgegenstellt, handelt in einer Form der Weisheit.» (Gutmann, J., 2016. Humor in der psychiatrischen Pflege.)

Humor ist eine «Trotzmacht» – mitten im Alltag, mitten in widrigen Umständen.

Entgegen Stigmatisierung und Vorurteilen

Heute setze ich mich insbesondere für Menschen mit psychischen Schwierigkeiten und deren Angehörige ein. Ich möchte dazu beitragen, den Stigmatisierungen, Vorurteilen und Tabus entgegenzuwirken. Wir tun den Menschen unrecht, wenn wir sie über ihre Krankheit definieren und wahrnehmen. Menschen in eine Schublade zu stecken ist eine Form von Gewalt. Mit der psychiatrischen Diagnose meinen wir vielleicht zu wissen, wer der Andere ist, ohne uns wirklich mit ihm auseinanderzusetzen. Doch mein wichtigster Auftrag ist, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, unabhängig vom «Drumherum». Das ist nicht immer einfach, vor allem dann, wenn die Krankheitseinsicht fehlt. Doch wenn ich mich entscheide, die Schönheit des Gegenübers entdecken zu wollen, werde ich sie finden (mit einem Kyrie-Eleison-Gebet im Herzen: Herr, erbarme dich!). Auch Gold liegt in der Erde verborgen. Marshal Rosenberg sagt dazu: «Die Schönheit in einem Menschen zu sehen ist dann am nötigsten, wenn er auf eine Weise kommuniziert, die genau das am schwierigsten macht.»

Die «vermasselte» Suchtberatung

Zum Schluss eine kleine Anekdote aus meiner Suchtberatung. Ich war gerade dran die Suchtberatungsstelle für Migranten und Migrantinnen des Blauen Kreuzes aufzubauen. Ein grosser Portugiese war mein allererster Klient. Er kam nicht freiwillig zu mir. Wegen Alkohol hatte er seinen Führerausweis verloren. Um ihn zurückzuerhalten, wurde er zu einer Beratung verpflichtet. Er kam in Begleitung eines Freundes. Am Schluss des Gespräches schaute er mich an und sagte: «Frau Backeli, sie sind ja eine kleine Frau» Etwas verwundert antwortete ich: «Ja, sieht so aus.» Er fügte hinzu: «Sie sprechen aber gut italienisch!» «Ja, ich bin Italienerin.» Er war ganz erleichtert. Offenbar hatte er sich vorgestellt, eine strenge grosse Behördenperson vorzufinden, die ihm die «Leviten liest». Aus diesem Grund kam er auch in Begleitung. Beim zweiten Treffen kam er allein. Anfänglich zeigte er keine grosse Bereitschaft, etwas zu verändern. Er fand die Polizei überreagierend und meinte, er habe sowieso kein Alkoholproblem. Er erzählte mir aus seinem Leben in Portugal, dabei erwähnte er eine lustige Begebenheit. Das «kitzelte» mich ganz unerwartet. Mein innerer Zeigefinger erhob sich subito («Lachen das geht gar nicht, denn das ist unprofessionell!»). Doch je mehr er erzählte, desto mehr lachte es in mir. Während dem Gespräch versuchte ich das Lachen mit aller Kraft durch die Atmung in den Griff zu bekommen. Ich legte eine kurze Pause ein, indem ich so tat als suche ich etwas im Korpus meines Schreibtischs. Doch es war um mich geschehen, ich konnte mein Lachen nicht mehr zurückhalten und es prustete nur noch so aus mir heraus. Er musste mitlachen und das war «verheerend» für mich und provozierte einen Ausbruch à la Garofalo (das ist unser Familienname: wir schreien, wenn wir lachen …). Wir konnten uns beide nicht mehr auffangen, es vergingen sicher 15 Min. mit Bauchkrämpfen auf beiden Seiten. Er versuchte immer wieder weiterzuerzählen, doch das machte es nur noch schlimmer. Mit den Händen zeigte ich ihm, dass wir ein Time-Out brauchen und dass wir uns zu einem späteren Zeitpunkt treffen werden. Vor lauter Zittern konnte ich kaum den nächsten Termin aufschreiben. Ich erklärte ihm mit Zeichensprache, dass ich ihn anrufen würde, und verabschiedete mich mit der Handbewegung «Geh!» Es hat noch eine Weile gedauert, bis ich mich wieder einfangen konnte.

Ich meinte, meine erste Beratung komplett «vermasselt» zu haben. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Er wurde zu meiner ersten grossen Erfolgsstory! Das gegenseitige Vertrauen war im Schnellverfahren gelegt. Er konnte sich auf den Beratungsprozess einlassen, gewann Einsicht in sein Suchtverhalten und veränderte seinen Alkoholkonsum. Seither habe ich ihn einmal zufällig auf der Strasse gesehen. Er war im Auto und hat gehupt. Lachend rief er: «Ciao Frau Backeli!» 

--

Gisella Bächli ist Dipl. Sozialpädagogin HF, hat einen Master in Theaterpädagogik (SVEB 1) und ist Instruktorin bei ensa, einem Angebot von Pro Mente Sana (siehe Kasten am Ende des Textes). Aktuell besucht sie ein Master-Fernstudium in Theologie beim igw. Sie ist Projektleiterin des Vereins Lazarus, eine sozialdiakonische Arbeit, die sich für Menschen mit psychischen Schwierigkeiten einsetzt (siehe Kasten). Am TDS Aarau unterrichtet sie das Modul Kommunikation 1.

Hinweise

ensa

ensa ist ein Angebot von Pro Mente Sana. Der Erste-Hilfe-Kurs bietet Laien Unterstützung im Umgang mit Personen, die psychische Probleme oder Krisen durchleben.

Ersthelfer:innen leisten einen Beitrag, um Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Problemen in unserer Gesellschaft abzubauen und unterstützen, bis professionelle Hilfe übernimmt. Mehr zu den Kursangeboten auf www.ensa.swiss

Verein Lazarus

Der Verein Lazarus leistet sozialdiakonische Arbeit und widmet sich gemeinnützigen Aufgaben. Unser Menschenbild ist christlich geprägt und in der Nächstenliebe begegnen und unterstützen wir unsere Mitmenschen – unabhängig vom sozialen Status, Alter, Herkunft oder Religion. Unser Ziel ist es, neue Perspektiven zu schaffen, Lebensqualität und Lebensfreude zu ermöglichen.

Der Verein bietet Triage, Beratung, Freizeitangebote. Menschen mit psychischen Schwierigkeiten und deren Angehörige erfahren Hilfe im Alltag. Mehr unter www.lazarus.ch