
«Der Glaube ist für mich eine Gnade»

Porträt Vom Möbeldesigner zum Sozialdiakon: Jann Knaus hängte mit Anfang 50 seinen Job in Zürich an den Nagel und macht jetzt in der reformierten Kirche Windisch eine Ausbildung.
Kurz nach halb sieben Uhr schliesst Jann Knaus die Kirchentür auf. Im Chor stellt er mit routinierten Bewegungen ein Dutzend Stühle in einen Halbkreis, legt auf der vordersten Kirchenbank ein Dutzend Stapel Notenblätter bereit, klappt dann den Deckel des Flügels auf und zündet die grosse Kerze an. Dazwischen begrüsst er mit seiner wohlklingenden Bassstimme die eintrudelnden Sängerinnen und Sänger.
Ungezwungen singen
Darunter sind Frauen und Männer aus dem Kirchenchor, der ein halbes Jahr zuvor mangels Mitgliedern aufgelöst wurde. Und einige Neue, die nun im Projekt «Vierstimmig» mitmachen. Es ist ein Mitsing-Anlass, der jede Woche stattfindet und stets offen ist für alle. Vor elf Jahren bot Knaus das spirituelle Angebot erstmals in der Zürcher Bühl-Kirche an und nun auch in Windisch. «Er macht es super», lobt eine Frau den Leiter von Vierstimmig.
Der 53-Jährige arbeitet seit September 2023 in der reformierten Kirche Windisch als Sozialdiakon in Ausbildung. Montags und dienstags drückt er in der höheren Fachschule TDS in Aarau die Schulbank. «Ich bin der Senior der Klasse», sagt er und sein ernstes Gesicht wirkt jetzt jungenhaft fröhlich. «Die meisten sind halb so alt wie ich.»
22 Jahre lang führte Knaus in Zürich seine eigene Firma Bauhütte Design, entwarf und fertigte Möbel für Privatkunden an. Nebenher engagierte er sich in der Synode der Zürcher Landeskirche. In dieser Zeit habe er gemerkt, dass er sich gern auch beruflich für die Kirche einsetzen würde, erzählt der Sozialdiakon in seinem kleinen Büro vor der Chorprobe im Kirchgemeindehaus.
Obwohl ihm eine kritische Sicht aufs Christentum wichtig sei, habe die Botschaft von Jesus eine starke Kraft. «Der Glaube ist für mich keine Leistung, sondern eine Gnade, die uns geschenkt wird und uns aufrichtet, so dass wir weitergehen können», sagt Knaus. «Als ich 50 wurde, spürte ich: Ich bin bereit, mit Menschen unterwegs zu sein – wie Jesus, im Dienst am Nächsten.»

Ich bin bereit, mit Menschen unterwegs zu sein – wie Jesus, im Dienst am Nächsten.
Zürcher Kirche entflohen
In Zürich war er mit dem Zusammenschluss der städtischen Kirchgemeinden in der ausgearbeiteten Form nicht einverstanden. «Die firmenähnlichen Strukturen passten mir einfach nicht. Meiner Meinung nach müssten mehr Mittel in den Gemeindeaufbau fliessen.» Weil sich Knaus aber «unter dem Dach der reformierten Kirche mit ihrem weiten Horizont» zu Hause fühlt, blickte er über die Kantonsgrenze hinaus und bewarb sich erfolgreich auf eine Stelle in Windisch. Seine Werkstatt löste er auf, lagerte Maschinen und Werkzeuge ein, mit der Idee, Sozialdiakonie und Holzwerkstatt später zu verbinden. 2023 zog Knaus in das 8000-Seelen-Dorf zwischen Aare und Reuss. Aufs Dorfleben freute er sich: Nach seiner Lehre als Orgelbauer war er neun Jahre in Italien, Frankreich und den USA auf Wanderschaft gewesen.
Schöpfung hautnah
Der angehende Sozialdiakon startete am neuen Wohnort sogleich eine Reihe Projekte: Im Gemeinschaftsgarten gleich neben dem Pfarrhaus können Menschen aus der Gemeinde, Schüler, unbegleitete minderjährige Asylbewerber und weitere Interessierte auf 700 Quadratmetern Gemüse und Blumen pflanzen und pflegen – «und so miteinander Gottes Schöpfung erleben».
Und dann eben Vierstimmig. Laut Knaus ist es weniger ein Chor denn ein spiritueller Anlass. Der Ablauf ist immer der gleiche: Nach einem halbstündigen Einsingen und Üben singen die Frauen und Männer eine Stunde lang zwölf kirchliche Lieder, ohne an einzelnen Passagen zu feilen, stets vierstimmig und alle Strophen. Die Lieder begleitet ein Pianist am Flügel, sie wechseln mit dem Kalender des Kirchenjahrs.
Unter dem Chorfenster, welches im Abendlicht blau leuchtet, erklingt nun das Taizé-Lied «Jésus le Christ, lumière intérieure».
«Musik ist für mich ein Anknüpfungspunkt zum Göttlichen», hatte Jann Knaus in seinem Büro zuvor gesagt. In der Kirche Windisch machen die Sängerinnen und Sänger jene Verbindung auf sanfte Weise hör- und spürbar.
Veronica Bonilla Gurzeler in reformiert.
Bild: Elisabeth Real