Referat

Hoffnung – eine christliche Kernkompetenz

Dr. Andreas M. Walker

Die Verbindung von Positiver Psychologie und christlichem Hoffnungsverständnis kann uns neue Perspektiven für die Zukunft anbieten.

In unseren Kirchen verstehen wir uns als Glaubensgemeinschaft: Wir führen ein Glaubensleben, sind Glaubensgeschwister, haben Glaubensbekenntnisse, bieten Glaubenskurse an und führen lange und häufig engagierte Dispute über die Glaubenslehre. Es gilt, den Glauben unserer Vorväter zu ergründen und zu bewahren. Gemäss den Texten aus den Evangelien glauben wir, dass unser Glaube uns hilft. Und wir fokussieren in unserer Lehre und unserem Leben häufig auf «Sola fide – allein durch Glauben», wie Luther es uns als evangelische Gläubige lehrt.

Diese Haltung steht im Spannungsfeld zur Aussage von Paulus: Nicht allein der Glaube, sondern das Zusammenspiel von Glauben, Liebe und Hoffnung werden alles überdauern. So werden Glaube, Liebe und Hoffnung auch als die drei christlichen Tugenden bezeichnet. Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin verband diese in seiner Morallehre mit den Tugenden aus der antiken Philosophie: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mässigung.

Nicht der Glaube allein

Eben nicht der Glaube allein ist das zentrale Anliegen. Durch Paulus werden auch Liebe und Hoffnung in einen verbindenden Fokus gerückt. Liebe – Nächstenliebe oder Feindesliebe – delegieren wir in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft gerne an die Profis aus der Sozialdiakonie. Von der Kirche erwarten wir primär Glaubenskompetenz. Doch unsere Hoffnungskompetenz bleibt häufig aussen vor. Mit wem zusammen, auf welcher Grundlage und worauf hoffen wir? Wie finden wir Hoffnung – nicht nur auf ein Jenseits, sondern Hoffnung, um schon das Diesseits zuversichtlich und dankbar zu bewältigen? In der Bibel finden wir über 100 Bibelstellen zum Umgang mit Bedrohungen und Veränderungen. «Fürchte Dich nicht!», «Gottvertrauen», «Zuversicht» und «Hoffnung» sind keine christlichen Stiefkinder, sondern relevante biblische Themen. Wie bringen wir diese in unseren fachlichen und privaten Alltag ein?

Hoffnungskompetenz fürs Diesseits

Die Veränderungen durch aktuelle Megatrends sind gross und für viele bedrohlich: Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel, neue Pandemien, Kriege, vielfältige Identitätskrisen, neue Armut u. a. m. Gerade als christliche Organisationen sind wir hier gefragt, Hoffnungskompetenz zu entwickeln. Nicht erst für das Jenseits, sondern auch schon für das Diesseits. Es ist an uns, dieses Thema im 21. Jahrhundert wieder neu zu besetzen . Fordert nicht schon die Bibel uns konkret heraus, Licht im Dunkel zu sein?

Positive Psychologie und Früchte des Geistes

Verschiedene Fachrichtungen aus Psychologie und Therapie bieten uns empirisch gestützte Forschungsresultate und konkrete, evidenzbasierte Methoden dazu an: aktuell die «Positive Psychologie», aber früher schon «Salutogenese», «Humanistische Psychologie» und die «Logotherapie und Existenzanalyse». Hoffnung ist zum eigentlichen Forschungsgebiet geworden, wie die diversen Publikationen von Krafft und Walker und deren jährliche empirische Arbeit mit dem Hoffnungsbarometer seit 2009 zeigen. Fredrickson bezeichnet Hoffnung als eine der zehn wichtigsten Stärken (siehe Abb. 1). Auffällig ist, wie nah diese positiven Emotionen bei den Früchten des Heiligen Geistes liegen, die Paulus im Galaterbrief nennt. Peterson, Seligman und Niemic zählen Hoffnung zu den 24 Charakterstärken und ordnen sie u. a. zusammen mit der Spiritualität der Tugend der Transzendenz zu. Und im Konzept des «Psychologischen Kapitals» bringen Luthans et al. Hoffnung in einen konzeptionellen Zusammenhang mit Optimismus, Selbstvertrauen und Resilienz (siehe Abb. 2). Snyder forscht seit über 20 Jahren zum Thema der Hoffnung und hat dabei mit seinen Ansätzen von «Pathways» und «Agency» einen grundlegenden Beitrag geliefert (siehe Abb. 3–5).

Wie schaffen wir nun den Schulterschluss zwischen unserem christlichen Glauben und unseren biblischen Grundlagen einerseits und dieser aktuellen Forschung und Lehre der positiven Psychologie andererseits?

Psychologie als Selbsterlösung?

Allzu schnell kann sich nun der dogmatische Streit entzünden, ob Positive Psychologie einer Selbsterlösung ohne Gott gleichkomme. Doch Positive Psychologie hat weder den Anspruch noch die Kompetenz, Fragen der Transzendenz und Jenseitigkeit zu klären. Aber sie liefert uns wichtige Erkenntnisse und methodische Ansätze zur Frage, wie ein erfülltes und positives Leben im Diesseits gelingen kann. Oder anders ausgedrückt: Wie ein gesegnetes Leben vor dem Tod aussehen kann. Dabei kommt sie mit ihrer modernen Forschung den zahlreichen Geschichten und Handlungsanweisungen der Bibel überraschend nahe.

Die Positive Psychologie kommt mit ihrer modernen Forschung den zahlreichen Geschichten und Handlungsanweisungen der Bibel überraschend nahe.
Andreas M. Walker Zukunftsexperte, Coach, Referent und Autor

Beispielsweise zeigen die empirischen Arbeiten von Krafft und Walker mit dem Hoffnungsbarometer wichtige Quellen der Hoffnung: gelingende soziale Beziehungen, die konkrete Erfahrung von Natur und Körperlichkeit, eigenverantwortliche Entscheidungen und Handlungen im Sinne der Selbstwirksamkeit. Und: Gottvertrauen! Dies alles sind bedeutende Themen unseres christlichen Glaubens.

Paulus schlägt uns im 1. Korintherbrief ein Zusammenspiel von Glaube, Liebe und Hoffnung als Konzept vor. Wir haben lange einseitig auf die Fragen nach dem richtigen Glauben fokussiert. Die Positive Psychologie bietet uns nun zahlreiche wissenschaftlich fundierte Hinweise, wie wir auch wieder eine Hoffnungskompetenz entwickeln können. 

Dr. Andreas M. Walker ist Zukunftsexperte, Coach, Referent und Autor. Er initiierte 2009 den Hoffnungsbarometer und gründete «weiterdenken.ch». Er wohnt in Basel.

Verwendete Literatur:

Fredrickson B. L. (2011). Die Macht der guten Gefühle: Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert. Campus Verlag.

Krafft A. M. & Walker A. M. (2018). Positive Psychologie der Hoffnung: Grundlagen aus Psychologie, Philosophie, Theologie und Ergebnisse aktueller Forschung. Springer.

Luthans, Fred; Avolio, Bruce; Avey, James B.; Norman, Steven M. (2007): Positive psychological capital.

Niemiec, R.M. (2019). Charakterstärken: Trainings und Interventionen für die Praxis. Hogrefe

Peterson, C. & Seligman M. (2004). Character Strengths and Virtues: A Handbook and Classification. OUP USA.

Snyder, C. R. (2000). Handbook of hope: Theory, measures, and applications. Academic Press.