
Einfach, still und doch entschieden

Mathias Christ ist TDS-Student der Klasse II und lebt in einer evangelischen Bruderschaft. Auslöser für diesen Lebensstil war sein Wunsch nach einer Herzenstransformation.
„Kloster auf evangelisch“ – lange hatte ich keine Ahnung, dass es so etwas überhaupt gibt. Und als evangelischer Christ hätte ich es mir nicht träumen lassen, dass ich einmal selbst Bruder in einer ev. Bruderschaft sein würde. Wie die meisten von uns hatte ich den Wunsch, eine Familie zu gründen, bis ich nach und nach das gemeinsame Leben für mich entdeckte. Ich bekam Sehnsucht nach einem einfachen, stillen und doch entschiedenen Leben in der Nachfolge Jesu. Und als Single suchte ich nach einer verbindlichen Gemeinschaft, in der ich Heimat finden und in der ich im Vertrauen zu Jesus würde wachsen und reifen können.
Es war während der Corona-Zeit, ich war 36 Jahre alt. Ich hatte das Gefühl, in meinem Glauben auf der Stelle zu treten und wünschte mir eine Veränderung – eine Herzenstransformation. So entschied ich mich, eine dreimonatige Auszeit in einem evangelischen Kloster zu machen. Ich bekam die Möglichkeit zu einem „Kloster auf Zeit XXL“ bei der Christusträger Bruderschaft in Ralligen am Thunersee. In dieser intensiven Zeit des Mitbetens, Mitlebens und Mitarbeitens im Gästehaus machte ich die beglückende Erfahrung, dass Gott für mich eine Tür geöffnet hat. Ich fasste den Entschluss, mich auf diese Lebensform einzulassen.
Zu dieser Lebensform gehören die sog. drei evangelischen Räte: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Jede dieser drei Lebenshaltungen fordert mich als ganzen Menschen heraus und lädt mich ein, frei zu werden für Gott und für meinen Nächsten. Wir leben in Gütergemeinschaft und teilen miteinander unser Leben, unseren Glauben, unsere Zeit und Kraft, unseren materiellen und geistlichen Besitz. Wir leben ehelos und haben dadurch Freiraum, uns selbstlos unseren Gästen und den Menschen, die mit uns leben, zuzuwenden. Mit meinen Gaben stelle ich mich der Gemeinschaft zur Verfügung, damit auch die Gemeinschaft ihrer Sendung gerecht werden und so ihrer Berufung gehorsam sein kann.
Es ist das Geheimnis des gemeinsamen Lebens, dass die Bindung an eine geistliche Gemeinschaft und an ihre Regel nicht unfrei, sondern frei macht.
Am Anfang war die feste Tagesstruktur für mich gewöhnungsbedürftig, insbesondere das tägliche Morgengebet um 6 Uhr. Unterdessen erlebe ich den Rhythmus aus Gebet und Arbeit („Ora et labora“) mit gemeinsamen Tagzeitengebeten und Mahlzeiten als wohltuend und heilsam. Ich bin mir bewusst, dass mein Lebensstil in Kontrast steht zum Zeitgeist der Spätmoderne. Dieser meint mit individueller Freiheit, dass ich mich nicht binden muss und jederzeit aus vielen Optionen wählen kann. Das kann ich definitiv nicht. Es ist das Geheimnis des gemeinsamen Lebens, dass die Bindung an eine geistliche Gemeinschaft und an ihre Regel nicht unfrei, sondern frei macht.
Spannend ist für mich, dass ich intensive Gemeinschaft mit total unterschiedlichen Menschen leben darf. Als Brüder leben wir nicht zurückgezogen hinter Klostermauern, sondern zusammen mit wechselnden Kurzzeithelfern, Jahresfreiwilligen, Ordensleuten, die uns besuchen, Weggefährten, Pilgerinnen, die auf dem Jakobsweg unterwegs sind, und vielen, vielen Gästen. Das hat meinen Horizont erweitert, bringt mich aber auch immer wieder an meine Grenzen.
Ich bin fest überzeugt, dass es heute Orte verbindlichen, geistlichen Lebens braucht, an denen der christliche Glaube eingeübt, vertieft und verinnerlicht werden kann.