Beständigkeit des Herzens
Über die Schönheit des Bleibens
Seit über 40 Jahren folge ich meiner Berufung in der Kommunität Diakonissenhaus Riehen. Und schon vorher übte ich verbindliches Leben in Gemeinschaft: während zwölf Jahren im CVJM/F als Jungscharleiterin, Abteilungsleiterin, …
Eine Selbstverständlichkeit ist dabei Gottes Wort für mich geworden. Ich setze mich ihm täglich aus. Es ist mein Lebensinhalt. Ich orientiere mich daran. Ich übe mich darin, es zu leben. Es verfolgt mich auf Schritt und Tritt in meinen Beziehungen zu Menschen, zu Gott, zu Umständen, zu mir selbst. Es ist offene Wahrheit, kein Rezeptbuch.
In der Schule bei Benedikt von Nursia
Im Laufe meiner Lebenszeit begegnete ich dem Mönchsvater Benedikt. Er wurde mir kompetenter Lehrer für mein Leben als evangelische Ordensfrau, als Leiterin unserer Kommunität. Ich gehe noch immer in seine Schule auf der Grundlage des Evangeliums. Benedikt beschreibt sie: «Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten. Bei dieser Gründung hoffen wir, nichts Hartes und nichts Schweres festzulegen.» (Benediktsregel Prolog 45f) Schon in meinen Teenagerjahren faszinierte mich das Mönchtum, dieses Leben in Radikalität für Gott, diese Ganzhingabe.
Die Regel des Heiligen Benedikt aus dem 6. Jahrhundert inspiriert mich kontinuierlich. Ich habe über sie geschrieben, mich in sie vertieft. Um in meiner Berufung beharrlich zu bleiben ist sie Inspiration zu Erneuerung, Lebendigkeit und Herausforderung. Sie zielt auf gedeihendes gemeinsames und einsames Leben für Christinnen und Christen – auch Nicht-Mönche. Beständigkeit, stabilitas, hat dazu viel beizutragen.
Bleiben – Veränderung – Gehorsam
Bei der Profess, dem endgültigen Versprechen, verpflichten sich Benediktiner und Benediktinerinnen zu bleiben. Sie versprechen also Beständigkeit (stabilitas), zudem den klösterlichen Lebenswandel als stete Veränderung, Erneuerung und Umkehr (conversatio morum) und den Gehorsam, als Verpflichtung zum Hören und Umsetzen des Gehörten (oboedientia).
Bleiben heisst für mich erstens: Bleiben in der Gemeinschaft, deren Mitschwestern ich nicht wähle. Ich empfange sie und bleibe mit ihnen unter allen Umständen in Treue unterwegs. Benedikt gibt im 72. Kapitel (5–8) zu bedenken: «Ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen; im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern; keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen; die Bruderliebe sollen sie einander selbstlos erweisen; …»
Bleiben am Ort meiner Berufung. Das kann der anstrengende Arbeitsplatz sein, die Familie, meine Gemeinde, meine Gemeinschaft. So kann ich wachsen und fest werden.
Zweitens heisst es: Bleiben am Ort meiner Berufung. Das kann der anstrengende Arbeitsplatz sein, die Familie, meine Gemeinde, meine Gemeinschaft. So kann ich wachsen und fest werden. Benedikt zeichnet in seiner Regel im 1. Kapitel (V.10f) ein Gegenmodell und beschreibt die Gyrovagen. Es sind «herumziehende» Mönche. Kennzeichnend ist ihre innere und äussere Ruhelosigkeit, die einem auf sich selbst bezogenen Herzen (Eigenwillen) entstamme. Diese Mönche sind nicht mehr abhängig von Gott, sie sind so nicht mehr fähig, wachsam auf Gott zu horchen. Ihre eigenen Bedürfnisse beherrschen sie. «Ihr Leben lang ziehen sie landauf landab und lassen sich für drei oder vier Tage in verschiedenen Klöstern beherbergen. Immer unterwegs, nie beständig, sind sie Sklaven der Launen ihres Eigenwillens und der Gelüste ihres Gaumens.»
Entschieden bleiben, ausharren
Und die stabilitas? Sie gehört wesensmässig zum benediktinischen Verständnis von Gemeinschaft. «Er hält aus, ohne müde zu werden und davonzulaufen.» (Benediktsregel 7,36) Der innere geistliche Entwicklungsweg im monasterium (Kloster) bedarf einer entschiedenen Bereitschaft zum Bleiben, zuweilen zum Ausharren. Aus diesem Grund verspricht der Mönch in Gegenwart aller Brüder diese stabilitas. Sie bindet ihn und befreit vom permanenten Druck zu wählen und sich neu zu entscheiden.
Stablitas ist kein Ruhekissen für Bequeme. Sie ist eine – manchmal unbequeme – Beziehung auf Dauer. Ihr kommt eine zentrale psychologische Komponente zu. Das Bleiben hilft dem Mönch, sich zu stellen: sich selbst, seinen inneren Widersprüchen und seinen Grenzen. So wächst er mehr und mehr in das schöpfungsgemässe Bild Gottes. Es geht um die Beständigkeit der Tiefe des Seins, des Herzens.
Stabilitas befreit vom permanenten Druck zu wählen und sich neu zu entscheiden.
Ich selbst erfahre es, dass mein Herz weiter geworden ist, verständnisvoller, offener für die verschiedenen Charaktere. Ich bin beziehungsfähiger geworden, brauche auch von mir selbst nicht wegzulaufen, habe mich selbst besser kennengelernt. Im Prolog der Benediktsregel 49 ist das Ziel dieses Lebens, zu dem die stete Umkehr gehört, formuliert: Wer aber im klösterlichen Leben (wörtlich: der steten Umkehr) fortschreitet, dem wird das Herz weit, und er läuft in unsagbarem Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes.
Das Bleiben im Kloster, verstanden als äusseres Zeichen, deutete im alten Mönchtum oft auf das innere Bleiben auf dem Weg mit Christus (Joh. 15,1-10). Auch die Magisterregel, die Benedikts Regel weitgehend inspirierte, spricht von der stabilitas: «Wenn ein Bruder öfters aus dem Kloster fortläuft, so soll er bei der Rückkehr bis zu drei Malen wieder aufgenommen werden, aber keineswegs öfter! Denn seine Treue im göttlichen Dienst erweist sich beim Herrn so, wie die Beständigkeit seiner Füsse (pedum stabilitas) bei den Menschen standhielt.»
Unser kommunitäres Leitwort seit 1852 ist Fundament der stabilitas: Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr. 13,8).
Sr. Doris Kellerhals, Dr. theol, ist seit über 40 Jahren Teil der Kommunität Diakonissenhaus Riehen.