Referat

Den Weg vom Klagen zum Hoffen mitgehen

Dr. Stefan Wenger

«Den Rahmen sprengen» – dieses Motto wählte die Diplomklasse für die Eröffnungs- und Diplomfeier. Und sie fragte Stefan Wenger für die Festpredigt an. Der Theologe plädiert darin für eine Kultur der Hoffnung. Wie die gerade von angehende Sozialdiakoninnen und Gemeindeanimatoren gelebt werden kann, skizziert er in seiner Predigt, die fürs meinTDS leicht gekürzt wurde.

Bei der Eröffnungs- und Diplomfeiern vor vier Jahren stand die heutige Diplomklasse in einem überdimensionalen Rahmen auf der Bühne. Inzwischen ist viel geschehen und der Rahmen ist für die heutige Diplomklasse – zumindest nach dem großartigen Flyer zur heutigen Eröffnungs- und Diplomfeier – gewaltig gesprengt worden:

  • Sehnsüchte, Gedanken, Vorstellungen, … dürften gesprengt worden sein.

  • Gebrochenheiten, Schwachheiten, Grenzen … dürften gesprengt worden sein.

  • Probleme, Herausforderungen, Situationen, … dürften gesprengt worden sein.

Gleichzeitig werdet Ihr als heutige Diplomklasse ganz sicher auch entdeckt haben, wie sehr auf unseren guten Gott Verlass ist; er trägt etwa auch durch viral geprägt Studienzeiten, auf ihn kann gebaut werden. Aus all diesen Gründen ist das Thema für diesen Gottesdienst überaus treffend gewählt: Den Rahmen sprengen.

Sehr gut, nur: Wann, wo, wie und wozu soll welcher Rahmen gesprengt werden? Oder etwas konkreter: Inwiefern soll eine durch das TDS diplomierte Sozialdiakonin, inwiefern soll ein diplomierter Gemeindeanimator eine Persönlichkeit mit Sprengpotential sein und entsprechend leben? Um diese Frage beantworten zu können, werde ich keine (weitere) Vorlesung halten, sondern Euch an ein paar meiner Wünsche für uns als TDS-Studiengemeinschaft und heute besonders auch für euch als frisch diplomierte Berufsleute teilhaben lassen.

Eine heile Welt mit Rissen

Am 23. August war auf der SRF-Webseite folgender Titel zu lesen: „Die Schweiz: Eine heile Welt mit Rissen“. – Und weiter: „Die Schweiz ist ein Land mit einer grundsätzlich sehr zufriedenen Bevölkerung. Das zeigt eine große Meinungsumfrage des Forschungsinstituts GFS Bern im Auftrag der SRG. Aber in diesem Bild einer heilen Schweiz gibt es auch bedenkliche Risse.“ – Mein Wunsch an uns alle, heute besonders an unsere Diplomklasse ist: Lasst uns den Rahmen sprengen, indem wir in diese ‚bedenklichen Risse‘ treten und für eine Kultur der Hoffnung einstehen!

Berufen, befähigt und gesandt

Als Christinnen und Christen ist uns der Auftrag verliehen worden, das Evangelium von Gottes Heilshandeln in und durch seinen Sohn Jesus Christus zu verkündigen und zu demonstrieren. Jesus hat es so gesagt: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ (Mt 10,7–8 | Einheitsübersetzung 2016). Dafür steht die Ausbildung am TDS! Das Evangelium soll verkündigt und demonstriert werden – in Worten der Hoffnung und in Taten der Barmherzigkeit. Dafür werdet ihr ausgebildet, dafür seid ihr befähigt worden – um in die ‚bedenklichen

Risse‘ unserer Gesellschaft treten zu können, und zwar indem ihr „stets bereit [seid], jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15b | Einheitsübersetzung 2016). So hat es vor langer Zeit der Apostel Petrus formuliert. Als Sozialdiakone und Gemeindeanimatorinnen seid ihr dazu berufen, jetzt professionell befähigt und ab heute gesandt, um den Rahmen der Hoffnungslosigkeit zu sprengen, in dem viele Menschen auch in der Schweiz gefangen sind. Darum mein Wunsch an Euch und eigentlich an uns alle: Bringt ihnen Hoffnung, begründete Hoffnung, christliche Hoffnung!

Was aber ist Hoffnung?

Grundsätzlich gilt: Als von Gott geschaffene Menschen sind wir ‚Hoffnungswesen‘; hoffen gehört zu unserem Menschsein dazu. Wo die Hoffnung stirbt, hat darum auch das menschliche Dasein kaum mehr eine Zukunft. Deshalb widersteht menschliche Hoffnung Angst, Verzweiflung und Tod. Das ist an sich bereits großartig, und doch ist christlich begründete Hoffnung mehr. Denn: Christliche Hoffnung richtet sich auf den Gott, der sich in Christus offenbart hat; sie richtet sich auf den Gott, der sich vor über dreitausend Jahren einem Hirten in einem entflammten Dornbusch persönlich vorgestellt hat, und zwar mit folgenden Worten: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ (Exodus 3,14a | Luther 2017). Dieser Gott – Adonai – ist ein Gott der Zukunft, er kommt immer schon auf uns zu! Das ist der letzte Grund unserer Hoffnung: Ein Gott, der uns erwartet und in seiner Gegenwart herzlich willkommen heisst – hier und jetzt in unserer Welt und weit darüber hinaus bis in seine ewige Welt hinein.

«Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.» Dafür steht die Ausbildung am TDS.
Das Evangelium soll verkündigt und demonstriert werden –
in Worten der Hoffnung und in Taten der Barmherzigkeit.
Dr. theol. Stefan Wenger Dozent TDS Aarau

Den Rahmen sprengen – Hoffnung kultivieren!

Was aber könnte es konkret bedeuten, für Menschen in den ‚bedenklichen Riss‘ zu treten und ihnen Hoffnung zu vermitteln? Ich habe mich an der Stelle von Graham Tomlin, einem Bischof der Church of England an der Hand nehmen lassen. Seine Impulse sind mir zu Herzenswünschen geworden, an denen ich uns alle teilhaben lassen möchte.

Als Christinnen und Christen, als Kirche(n) Jesu Christi, als Sozialdiakoninnen und Gemeindeanimatoren sollten wir Menschen sein und immer mehr werden, die mit anderen Menschen einen Weg vom Klagen zum Hoffen gehen können. Das könnte wie folgt aussehen:

  1. Klagen: Menschen in ihren Nöten ernst nehmen (Gebet: Verzweiflung vor Gott bringen, "Senfkorn-Hoffnung")

  2. Solidarität: Menschen in ihren Nöten annehmen (Gebet: Frustration vor Gott tragen)

  3. Widerstand: Für Menschen vor Gott und anderen Menschen einstehen (Gebet: Inspiration und Wegweisung erbitten)

  4. Transformation: Menschen konkret weiterhelfen (Gebet: Erneuerung von Personen und Situationen erbitten)

  5. Hoffnung: Den Menschen neue Hoffnung vermitteln (Gebet: Gemeinschaft leben, Menschen willkommen heissen)

Nimmt man all das zusammen, wünsche ich uns allen und heute besonders unseren frisch diplomierten Sozialdiakonen und Gemeindeanimatorinnen Folgendes: Sprengt den Rahmen der Hoffnungslosigkeit im Leben möglichst vieler Menschen! Wer Euch begegnet, soll …

  1. Würde erleben,

  2. Trost erfahren,

  3. Dankbarkeit gewinnen,

  4. Freude finden,

  5. Hoffnung tanken.

Ermutigung und Segen

Das ist kein leicht zu erfüllender Wunsch. Und deshalb schließe ich mit einem Wort der Ermutigung und des Segens. Das Wort der Ermutigung kommt von jenem Gott, der sich dem Mose im brennenden Dornbusch als „Ich werde sein, der ich sein werde“ offenbart hat, und an Moses Nachfolger Josua gerichtet ist – und dessen Auftrag war nun auch nicht ganz alltäglich. Ich bin überzeugt, dass ihr diese Worte unseres so sehr guten Gottes auch für euch ganz persönlich nehmen und mit diesen Worten in eure Zukunft gehen dürft:

Habe ich dir nicht befohlen: Sei mutig und stark? Fürchte dich also nicht und hab keine Angst; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir überall, wo du unterwegs bist (Josua 1,9 | Einheitsübersetzung 2016).

Schließlich würde ich Euch gerne mit Worten des Apostels Paulus segnen:

„Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes“ (Römer 15,13 | Lutherübersetzung 2017).

Amen.